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Laeiszhalle: Abschlusskonzert in der Reihe Musikalische Stolpersteine – Jüdisches Kammerorchester Hamburg 2.0 kehrt zum Ursprung zurück

Laeiszhalle: Abschlusskonzert in der Reihe Musikalische Stolpersteine

Jüdisches Kammerorchester Hamburg 2.0 kehrt zum Ursprung zurück

In der Laeiszhalle nahe den Wallanlagen fing alles an. So erklärte es uns Charlotte Brinkmann vom Verein Schalom Hamburg e.V. zu Beginn. Im Jahre 1934 gab es schon einmal ein Jüdisches Kammerorchester in Hamburg unter der Leitung von Edvard Moritz. Im Kleinen Saal spielten einige der mit Berufsverbot durch die NS belegten deutsch-jüdischen Musiker, u.a. die Solisten llse Urias, Jakob Sakom und Hertha Kahn. Bei lediglich vier Aufführungen in vier Monaten wurden Tschaikowski, Mozart, Händel und Corelli sowie jüdische Komponisten wie Berthold Goldschmidt und auch der zeitgenössische Florent Schmitt gespielt. Dann wurde das Orchester aufgelöst, da der Leiter – um sein Leben zu retten – in die USA emigrierte.

Heute nun schließt sich der Kreis, wenn das 2018 durch die russisch-jüdische Musikerfamilie Meshvinski neubegründete Jüdische Kammerorchester Hamburg in der Reihe ‚Musikalische Stolpersteine‘ u.a. auch Viktor Ullmann im Mai 2019 hier im Kleinen Saal zur Aufführung bringt. Die Programmabfolge war klug gewählt. Das Konzert beginnt mit dem Streichquartett Nr.8, op.110, einer Komposition von Schostakowitsch mit sehr modernen Anklängen. Klingt wie Tekkno für Klassikliebhaber mit auch romantisch anklingenden musikalischen Sentenzen. Zunächst sind die drei Meshvinskis auf der Bühne, Pjotr spielt Violoncello, seine Frau Natalia Bratsche, Sohn Emanuel Violine sowie der dritte Mann, Alexander Baev, ebenso Violine.

Mit technischer Finesse und Brillanz holen die Musikschaffenden vereint ein Optimum aus ihren Instrumenten im Zusammenspiel miteinander und unter dem Einbeziehen des hörenden Publikums. Immer wieder werden durch unmerkliche Blickkontakte oder kurzes Nicken die Einsätze der Musiker synchronisiert. Die Akustik im Saal ist grundsätzlich gut, zwischen den Stücken gibt es ganz kurze Pausen. Dann vernimmt sich allerdings entfernt das dumpfe Wummern von Bässen der Populärmusik von Suzi Quattro aus dem Großen Saal. „It’s only Rock’n’Roll“ ist das Motto der Show. Doch dafür können die Meshvinskis nichts und spielen in der Regel zeitnah weiter, so dass nur das JCO zu hören ist. Als 15-jähriger – vor vierzig Jahren – wäre ich wahrscheinlich bei Suzi gelandet, hatte ich doch schon Blondie, Hot Chocolate und Madness im Großen Saal der Musikhalle, wie sie damals hieß, genossen. Doch ich hörte dort auch damals schon Ivo Pogorelich, den Punk unter den Klaviervirtuosen, mit seinen gewagten und aufregenden Chopininterpretationen.

Das Streichquartett von Viktor Ullmann (1898 Teschen – 1944 Auschwitz-Birkenau), der aus einer jüdischen Familie aus Österreich stammte, die zum Katholizismus konvertierte, schließt sich an. Ein Studium der Musik in Wien brach Ullmann 1919 ab. Er zog nach Prag, um dort zu wirken. Er wurde 1927 Kapellmeister am Prager Neuen Deutschen Theater und hatte ein Intermezzo in Zürich, wo er sich für die Anthroposophie Rudolf Steiners interessierte. Zudem war er als Freimaurer in der Großloge Lessing zu den Drei Ringen in Prag aktiv. Bereits 1942 wurde Ullmann nach Theresienstadt deportiert. Dort entstand auch das Streichquartett Nr. 3 und seine Oper „Der Kaiser von Atlantis“, die erst nach etwa 60 Jahren uraufgeführt wurde.

Die Meshvinskis sowie der Violinist Alexander Baev, der praktisch zur Familie gehört, spielten konzentriert und mit Freude in dem zum Drittel besetzten Musiksaal die moderate Musik von Ullmann. Sie ist durch Schönbergs atonalen Zugang schon nicht mehr so stark geprägt, sondern von Ullmann weiterentwickelt worden.  Diesmal spielt Emanuel die Bratsche, seine Mutter Natascha die Violine. Der Wechsel der Instrumente ist ein klassisches  Markenzeichen des Quartetts. Manchmal unterbrach das Publikum mit einem Applaus. Pjotr Meshvinski bedeutete den Zuhörenden nicht nach jedem Satz zu klatschen, sondern erst am Ende. So konnten sich alle auf das Spiel der Musiker besser einlassen.

Nach der großen Pause wurden die Meshvinskis verstärkt durch weitere Musiker und Instrumente. Aus dem Stand heraus spielen sie Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ mit großer Verve, verstärkt durch Alla Rutter an der Viola, Tair Turganov am Kontrabass und Anna Alenitsyna-Herber am Cembalo. Tatsächlich ist der erste Satz der „Vier Jahreszeiten“ oft als ‚elevator music‘ bekannt. Die eingängigen Melodien gehen den Zuhörenden runter wie Butter. Hier wurden sie vom Jüdischen Kammerorchester ‚live und unplugged‘ geradezu zelebriert, mithilfe der zusätzlichen Instrumente und Instrumentalisten wurde der Klang weit und satt. Es war geradezu sichtbar, wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter an dem begeisterten Publikum vorbeizogen. Vor meinem inneren Auge sah ich die Knospen und Blüten sprießen, die singenden Vögel eines heißen Sommers, einen Bauerntanz, die Stürme des Herbstes und den leicht melancholischen Klang der Kälte des Winters mit Eis und Schnee, wie bei einem Menschenleben, das vorüberzog. Besonders herausragend waren die Solopassagen jeweils von Natalia bzw. Emanuel für die Liebhaber dieser erbaulichen Musik.

Die Schlussakkorde gingen unter in einem tosenden Applaus. Mehrfach erschien das Ensemble des Jüdischen Kammerorchesters von jenseits der Bühne nach dem Abgang und verneigte sich erneut. Das Klatschen und die Begeisterung nahmen schier kein Ende.

Eine Zugabe musste her! Das Orchester formierte sich wieder neu und gruppierte sich um den Musikdirektor Pjotr Meshvinski, der zuvorderst mit seinem Violoncello platznahm und mit einem schelmischen Blick und Lächeln, trocken ankündigte: „Joseph Haydn, Cellokonzert C-Dur, Allegro molto, Finale.“ Die Betonung lag hier auf ‚Finale‘, was von dem Publikum mit einem freundlichen Lachen quittiert wurde. Hier zeigte Pjotr Meshvinski sein meisterhaftes Spiel an seinem Instrument – virtuos und aus der ersten Reihe geradezu am akrobatischem Fingerspiel erkennbar. Selten hat mir Livemusik so viel Freude bereitet – it’s not only Rock’n Roll – it’s JCO! Ab Herbst geht die Reihe Musikalische Stolpersteine in die nächste Runde!

Jakob Krajewsky