Zum Gedenken an die Pogromnacht, als man die Synagogen auf Anweisung des deutschen Staates durch SA angezündet bzw. unter Aufsicht von deutscher Polizei und Feuerwehr kontrolliert hat abbrennen lassen, waren am Carlebachplatz die letzten Jahre nur ca. 30-40 Leute vorzufinden. Die Stimmung dort im Novembergrau war düster und bedrückend. Dieses Mal kamen auf den Carlebachplatz, der nach Hamburgs letztem Oberrabbiner zur Zeit der Shoa, Josef Carlebach, benannt ist, mehr als 700 Menschen aller Altersgruppen und querbeet aus allen Schichten. Das von Daniel Sheffer, Vorsitzender der Stiftung Bornplatzsynagoge, ausgegebene Motto hieß: ‚Nie wieder ist jetzt‘ und ‚Wir müssen uns nicht verstecken.‘ Das symbolisiert ein neues Selbstverständnis und ein ebenso starkes Selbstbewusstsein der jüdischen Menschen in Hamburg. Cilly Eichengreen (1925-2020), geborene Lucille Landau, eine Hamburger Jüdin, die Auschwitz überlebte und nach dem Krieg nach Kalifornien ging, schrieb mal: „In Hamburg tragen alle Juden ihren Kopf einen Meter unter der Schwelle.“ Das ist nun vorbei!
Trotz des 85-jährigen Gedenkens an die NS-Verbrechen und an die barbarischen Massaker an den Menschen, den Alten, Frauen, Schwangeren, Kindern und Soldaten im Süden Israels am 7. November durch die seelenlosen Hamas-Meuchelmörder, wirkte die Stimmung am 9. November 2023 wie ein euphorisches ‚Trotzdem‘. Das mag auch mit dem Projekt des Wiederaufbaus der Bornplatzsynagoge am Carlebach nach 85 Jahren an besagtem Platz zusammenhängen. Gnädigerweise hat die Stadt Hamburg erst vor kurzem ein ehemals widerrechtlich konfisziertes Teilgrundstück der jüdischen Gemeinde nach mehr als acht Jahrzehnten zurückgegeben. Wie peinlich für die Hansestadt! Deutlich sind die Ausgrabungen zu sehen: aufgeworfene Gruben, kleine Erdhäufchen, Absperrvorrichtungen mit überdeckenden Planen, die wie Baldachine, einer Chuppa gleich, dem Wind und Regen trotzen. Die Rednerliste war ziemlich breit gefächert, Bürgermeister, Vertreter der Zivilgesellschaft, Luisa Neugebauer von Friday for Future, deren Urgroßvater im KZ ermordet wurde, sagte: „Antisemitismus macht sich breit, wo wir nicht dagegenhalten‘. Es kam u.a. Tanja Chawla, eine Rednerin vom DGB aus Berlin und Juliane Seifert, Staatssekretärin aus dem Bundesinnenministerium, ebenfalls Berlin und Dennis Yücel, türkischer Journalist, der unter Erdogan im Gefängnis schmachtete. Bischöfin Kerstin Fehrs brachte den Spruch: „Antisemitismus ist gottlos“. Das hätten sich die Kirchen mal in den 1930er Jahren hinter die Ohren schreiben sollen. Die heutige Nordkirche war damals eine Mordkirche. Die deutschen Kirchenfürsten und Pastoren denunzierten die getauften Juden ihrer Gemeinden an die NS-Behörden, die Mitglieder der jüdisch-christlichen Minderheit wurden als Juden in die Todeslager deportiert und dort ermordet. Schon vergessen? Gemeinderabbiner Bistritzki sprach zum Schluss ein Gebet, Philip Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Orthodoxen Gemeinde Hamburg gedachte der Toten und auch der arabischen Zivilisten in Gaza. Daniel Sheffer moderierte das alles. Wo waren übrigens hier und heute die Vertreter der liberalen Juden Hamburgs? Ausgegrenzt – wie üblich!
Es sprach auch eine der Überlebenden des Massakers vom 7. Oktober 2023, Lior Katz-Natanson, die ihre Mutter verloren hat und deren Bruder und Schwester mit zwei kleinen Kindern als Geiseln von den Terroristen verschleppt wurden. „Unser Leben hat sich in einen Albtraum verwandelt“. Ihre Großeltern stammen aus Deutschland. Sie zeigte Bilder ihrer Lieben. Fotos der verschleppten Israelis waren auch an einem Gitterzaun zu sehen. Ihr unüberhörbarer Appell lautete: ‚Bring them home!‘
Gedenkkonzert des Jewish Chamber Orchestra Hamburg im ehemaligen Tempel der liberalen Juden
An einem ganz anderen jüdischen Ort in Hamburg gab es ein Gedenkkonzert in Anwesenheit des Kultursenators Carsten Brosda, der mit einer vorgefertigten Rede den Abend eröffnete. Im NDR Rolf-Liebermann Saal spielte das auf 12 Musizierende angewachsene JCO vor fast ausverkauftem Hause. Hier war der ehemalige Tempel der liberalen Juden, der 1932 im Stile der Neuen Sachlichkeit als einzige noch erhaltene Bauhaus Synagoge existiert. Die Außenvertäfelung der Fassade besteht aus Muschelkalkplatten – ein architektonisches und kaum beachtetes jüdisches Juwel Norddeutschlands.
Mit großer Resonanz und als volles Orchester mit wunderschönem Klangkörper spielten die Musiker des JCO unter der künstlerischen Leiterin Natalia Alenitsyna 95 Minuten ohne Pause auf. Noch nie hab ich das JCO so stimmig gehört. Im Wechsel mit Lesungen des Schauspielers, Stephan Kampwirth, bekannt u.a. aus einer Netflix-Serie und von Theaterproduktionen, der relevante Texte vortrug, wurden Stücke von Ullmann, Schulhoff und Eigenkompositionen des jungen und verheißungsvollen Emanuel Meshvinski, Mitbegründer des JCO, intoniert. Dazu gehörte u.a. ‚Romance for String Orchestra‘, dass seinen romantischen Charme unter der Obhut der Musizierenden entfaltete. Herrlich auch die alles durchwebende Akustik im Saal. Zum Abschluss wurde hier nun eine Welturaufführung präsentiert: ‚Left behind‘ – auch dieses eine Eigenkomposition. Emanuel Meshvinski hat sie den Opfern von Antisemitismus und Gewalt gewidmet – damit waren auch die Ermordeten der Massaker vom 7. Oktober einbezogen. Der junge Kompositeur und Violinist bedankte sich beim Publikum, „dass Sie so zahlreich erschienen sind, obwohl die Angst immer bei uns allen präsent ist.“
Zugegebenermaßen war das Gelände um den ehemaligen Tempel stark durch schwer bewaffnete Polizeikräfte zusätzlich zu den hausinternen Ordnungskräften gesichert worden. Von den liberalen Juden Hamburgs, den Vertretern des Israelitischen Tempelvereins von 1817, war hier leider niemand zu sehen. Wann wird eigentlich dieser Tempel an die Liberalen zurückgegeben? Jakob Krajewsky
Für viele ist eine Reise nach Jerusalem – ins Heilige Land – mindestens einmal im Leben enorm wichtig. Was bei Moslems die Hadj, ist bei vielen Christen die Pilgerreise und ist bei Juden aus Europa, USA und Australien als „birthright“ oder „heritagetour“ bekannt. Insbesondere Jerushalayim wird zum Sehnsuchtsort für die Suchenden. Das Land, in dem Könige, Propheten und Messiasse lebten, ist ein (post-) moderner Staat in dem heute noch Kibbutzbauern, Schäfer und Schläfer, Erfinder, Journalisten, Professorinnen, Priester und Proleten zuhause sind. Natürlich ist es auch das Land des Gen- und Hightech-Businesses.
Modemacherinnen, Politiker, Unternehmerinnen gibt es zuhauf. Die jungen israelischen Frauen und Männern haben ein gesundes Selbstbewusstsein, besitzen viel Kreativität. So spielt das Internet und stylisches Design eine wichtige Rolle. Leute aus Marokko, Iran, Äthiopien, Jemen, Zentral- und Osteuropa, USA und Russland, von den Philippinen und aus Südamerika begegnen sich, arbeiten und wohnen miteinander. Gerade auch die arabische Bevölkerung hat eigentlich eine wichtige Brückenfunktion zwischen orientalischen Juden und den heutigen Nachkommen der Jeckes, die aus Zentraleuropa stammen. Israel ist ein sozialistisch geprägtes Land mit kapitalistischem Antlitz voller Bürokratie. Hier pflegen Leute moderne Lebensform des säkularen, weltoffenen Menschen bis hin zur hermetischen Religiosität der Ultras. Hier gibt es Drusen, Moslems, Christen aller Couleur und auch die messianischen Juden. Es ist ein Gemeinwesen, in dem Menschen aus über 140 Ländern auf einem Gebiet von der Größe Hessens leben. Ein Staat, der gerade knapp über 70 Jahre alt ist. Was sind aber 70 Jahre im Laufe der Geschichte eines Volkes aus dem Altertum ?
Wie groß der zeitliche Abstand zwischen Antike und Moderne ist, wird klar: Die Hafenstadt Jaffo ist fast 4000 Jahre alt – Tel Aviv ist gerade mal 100 geworden! Beide Orte haben ihre Geschichte, die heute mehr denn je zusammenfließt. Räumlich kann man die beiden Städte kaum noch voneinander trennen. Die Menschen vermischen sich und das ist gut so!
Der Frühlingshügel – Tel Aviv
Jaffo: Blick auf Bucht und Badestrand von Tel Aviv aus kommend
Wir lebten
in Tel Aviv im alten jemenitischen Viertel, knapp fünf Minuten vom Strand
entfernt, den man ‚Jerusalem’ nennt. Hier trifft sich Jung und Alt.
Atemberaubend ist der Blick von der Dachterrasse auf das Meer. Tel Aviv, heißt zu
Deutsch ‚Frühlingshügel’. Der Hügel wächst ohne Ende – hauptsächlich in die
Höhe – das Leben hier ist sehr energetisch.
Vielfalt und Kreativität in einer wachsenden Stadt
Investoren haben den festen Glauben an die Zukunft als Möglichkeit! Wie könnten Banken und Geschäftsleute sonst in eine Metropole investieren, die immer wieder bedroht ist? Viele Tel Avivis sind Hedonisten. Sie leben im Jetzt: „Carpe diem – nutze den Tag“! Wer weiß, was morgen ist. Und doch wird geplant und gebaut, z.B. in Neve Zedek und Sarona, dem alten deutschen Templerviertel. Hier entstehen Läden und Cafes, die an Prenzlauer Berg in Berlin erinnern. Die weiße Stadt, ha Ir Halavana (העיר הלבנה), der sagenhaften Bauhauskultur mit ca. 4000 Gebäuden, wurde von aus NS-Deutschland geflüchteten Architekten erschaffen und gehört zum Weltkulturerbe. Das Viertel wurde gerade rechtzeitig umfassend renoviert, bevor die Gebäude völlig auseinander bröselten. Die Menschen hier haben Energie, Lebensmut und den Glauben an ihre Zukunft – besonders die Säkularen. Im GabaiFalafelimbiss um die Ecke arbeiten Palästinenser und Juden zusammen, ganz zum Wohle ihrer Gäste. So könnte es immer sein. Das Zusammenwirken setzt trotz aller Unterschiede enorme Möglichkeiten frei – besonders im hitzigen Nahen Osten. Der Besitzer stammt aus Europa, spricht Deutsch, hatte in den 1970ern Bäckereien in Passau und in Wien.
Geschäftstüchtigkeit + Bildung sind überlebenswichtig
Tel Aviv University und das Diasporamuseum Etwas abgelegen, vor der mächtig in die Höhe schießenden Stadt, liegt der wunder-schöne Campus der Tel Aviver Universität. Hier kannst du unter Palmen alles studieren, was es zu studieren gibt: Von Naturwissenschaften und Gesellschaftswissenschaften über Jura, Religion, Chemie, Physik und Literatur in Hebräisch, manchmal auf Englisch. Natürlich wird überall sehr schnell gesprochen, auch wenn man nur etwas Hebräisch kann. Und doch freuen sich die Leute, wenn du mit ihnen ein paar Worte wechselst. Es gibt auch Israelis mit deutschen Wurzeln. Dass merkten wir, als wir nach dem Bus fragten. Das Hatfutsotmuseum (Diasporamuseum) ist auf dem Unigelände platziert. Es zeigt 4000 Jahre Diaspora des jüdischen Volkes, von Babylon über Ägypten, Europa und Amerika und zurück. Wir absolvierten den Rundgang in nur 1 ½ Stunden. Es war kurz vor Schabbat, als wir dort ankamen. Selbst Tel Aviv – the city that never sleeps – kommt dann für ca. 24 Stunden zur Ruhe. Es fahren keine Busse, viele Läden und öffentliche Einrichtungen sind geschlossen. Und wir fuhren mit einem Sherut, dem Sammeltaxi, nach Jerushalayim (übrigens ist es ein Pluralwort und weiblich)!
Schabbat in Jerusalem Tel Aviv bleibt die Stadt der säkularen Weltmenschen, Jerusalem ist der Ort für religiöse Sinnsucher. Seit einiger Zeit gibt es eine schicke neue Straßenbahn vor den Mauern der altehrwürdigen Stadt. Ein Muss ist ein Besuch, vorbei an der Knesset – Jerusalem ist schon länger die offizielle Hauptstadt des Landes, im Israel Museum. Hier kann man etliche Tage verbringen.
Vergäße ich dein Jerusalem ..
Archäologie, Kunst, der Billy-Rose Skulpturengarten und ein riesiges Modell des Herodianischen Tempels sind hier zu sehen. Die Krönung ist die Jesajarolle von Qumran, die 1948 ein arabischer Hirtenjunge gefunden hat. Sie ist im nachempfundenen, atomsicheren und überdimensionalen Tonkrug zu besichten, dem Schrein des Buches. Interessant für Touristen und Schriftgelehrte ist auch der Aleppo-Codex. Wir wandelten etwa 2 Stunden durchs Museum. Allerdings blieben Coffeeshops, Restaurant und Andenkenladen hier im Hause natürlich geschlossen – Schabbat Schalom!
Modell des Herodianischen Tempels (1:50) im Außenbereich des Israelmuseums
Das Museum
ist weitläufig und hat einen riesigen Außenbereich samt Skulpturengarten und
Tempelmodell. Ein wunderschöner Blick über Jerusalem ist von dort gegeben. Das
Modell ist von Professor Avi-Jonah im Maßstab 1:50 nach alten
Aufzeichnungen, der Mischnah und den Büchern des römisch-jüdischen
Historikers Flavius Josephus, rekonstruiert worden. Es wurde zunächst auf dem
Gelände des Holy Land Hotels platziert. Der Inhaber des Hotels, Hans Kroch,
hatte es seinem Sohn gewidmet. Der war im Unabhängigkeitskrieg 1948 gefallen. 2006
wurde es ans Israel Museum übergeben.
Wohnen in der Altstadt Weiter ging es mit dem Taxi zum Jaffator. Wir hatten einen fetten Riesenrucksack dabei und wollten auf der Dachterrasse der Zitadelle übernachten. Das ist eher etwas für Leute zwischen 20 und 30! Dann landeten wir schließlich im Hotel Imperial im christlich-arabischen Viertel in der Altstadt. Dort übernachteten auch schon Selma Lagerlöff und der deutsche KaiserWillhelm II. Allerdings teilten sie sich wohl kaum ein Zimmer. Das Haus ist altehrwürdig mit hohen Decken und Rittersälen im Stil der Kreuzfahrerbauten auf Malta. Die besten Tage hatte die graue Ritterburg schon gesehen. Wir ließen unsere Sachen dort und erkundeten die Altstadt.
The Oil Press Art Gallery
Durch die Schuks, die arabischen Märkte mit überdachten Wandelgängen und vielen Läden, ging es zur Klagemauer. Auf Hebräisch nennt man sie HaKotel (die Mauer), auch als ‚West Wall’ bekannt. Ausruhen konnten wir uns dann im netten jüdischen Viertel vor dem Marktplatz der Bet El Synagoge. Dort spielten Jugendliche Ball, Frauen und Männer machten ihren Spaziergang, bevor am Abend der Schabbat zu Ende geht. Ein neuer Tag, eine neue Woche konnte ganz in der Ruhe beginnen. Auf heimliche Fotos haben wir verzichtet, um die religiösen Gefühle der Leute zu achten.
Die Ausgrabungen der Davidstadt: Ir David – ja, nein – vielleicht? Fast jeder Israeli ist Hobbyarchäologe, so auch Ex-Generäle wie Yigal Yadin oder Moshe Dayan. Dazu kommen die Leute der Universitäten, z.B. aus North Carolina und Europa. Hier kann man sogar als Touri mit ausgraben.
Ausgrabungen: Ir David – die Stadt des König Davids
Wir gingen außerhalb um die Stadt herum, am alten armenischen Viertel mit verfallenen Häusern vorbei, bis wir westwärts den Zionsberg sahen. Dann kamen wir zur Ir David, der Davidsstadt, voll mit israelischen Touristen.
Später am Absalomgrab sagte ein junger Mann vielsagend, dass es früher viele Könige gab. Er bezweifelte, dass es sich hier nun um Davids Stadt handelt. Während Juden sich sicher sind, halten Araber das lieber für eine Spinnerei, weil der Staat Israel natürlich seine Gebietsansprüche über König David geltend macht. Der Nahe Osten ist kompliziert. Wem gehört hier was und (schon) wie lange? Streitereien und manchmal Rauch um nichts gibt es oft auch wegen des Schutts und der vielen darunter verborgenen antiken Steine. Wer hat hier die Deutungshoheit?
Gethsemane – Jeshuas Garten als
Touristenmekka mit Blick aufs Goldene Tor
Garten von Gethsemane גת שמנים
Es ist unglaublich! Der einst stille, verträumte Ort an dem Jeshua verhaftet wurde und seine Anhänger einschliefen, wird ohne Ende von Bussen mit Touristen angesteuert. Ruhe bekommt man in der Kirche der Nationen. Doch auch hier geht ein heftiges Blitzlichtgewitter über einen beim Gebet hernieder wie eine biblische Erscheinung. Schnell weg hier – weiter zum Löwentor, vorbei an dem zugemauerten Goldenen Tor.
Hier soll der Mashiach am Ende der Tage wohl erscheinen. Das meinen religiöse Juden, Christen und Juden-Christen. Damit das bloß nie passiert, haben Moslems ihren Friedhof, so wird berichtet, davor verbreitert. Jeder Ort mit bestatteten Toten gilt bei Juden als unrein. So würde sich also der kommende Messias wohl (rituell) verunreinigen. Kommt er also, oder kommt er nicht? Gibt es eine (ER)Lösung? Religiöse Vorstellungen und Glaubensinhalte werden im (H)eiligen Land im Alltag konkret und nehmen oftmals auch abstruse Formen an ….
Via Dolorosa – Jesus blieb wohl zuhause in Hamburg Durch das Löwentor wagten wir uns auf die Via Dolorosa, den Kreuzweg Jeshuas, und kamen zur Grabeskirche. Hier haben unterschiedlichste christliche Kirchen ihre heilige Ecke, in der sie Gläubige betreuen. Überall Schreine und Priester, Grüfte tun sich auf. Menschen beten, weinen, laden Kreuze und Amulette am Felsenboden, auf dem Jeshua vermutlich lag, energetisch auf. Ab und zu prügeln sich die Priester der verschiedenen christlichen Kirchen. Moslems müssen die aufgeregten Parteien beruhigen. Es war grad Ramadan. Einerseits war alles friedlich und doch rumorte es. Am Damaskustor stach ein Araber einem israelischen Polizisten von hinten ein Messer in den Hals. Beide kamen ins Krankenhaus. Wir hatten den Eindruck Jesus ist zuhaus geblieben. PEACE. Liebt euch lieber und macht Kinder! In Hamburg, Berlin und New York dürfte es an diesem Tag jedoch mehr kapitale Verbrechen geben, als in der Heiligen Stadt dreier Weltreligion an einem Tag.
Frühstück in Jerusalem – ein Saal im Hotel Imperial unweit des Jaffa Gates
In Jerusalem liegt alt und neu dicht beisammen. Viele Menschen suchen in der Altstadt die Erfüllung ihres Glaubens. Im Frühstückssaal waren verschiedene Leute am Essen, z.B. ein asiatisches Paar. Der Mann war erblindet, die Frau konnte sehen und führte ihn. Das scheint exemplarisch für die Stadt zu sein. Eine unsichtbare Hand ergreift einen – nicht umsonst gibt es das Jerusalemsyndrom. Leute halten sich für Jeshua, den Messias, Maria oder Herodes. In der heiligen Stadt gibt es latente Aggressionen und immer die Möglichkeit zum Schalom zu kommen. ‚Yerushalayim’ (ein weiblicher Plural wie gesagt) bedeutet ‚in Gott gegründeter Frieden’.– Es reicht nicht, wenn Friede –Schalom – allein menschlich bleibt!
Gethsemane גת שמנים der Ölgarten – heute ein idyllischer Ort
Die soziale Lage im Lande Israel
Manche Leute schauen auf Israel mit dem verklärten Blick der Erlösten, doch davon sind wir weit entfernt. Das Land ist ein moderner Staat mit ganz postmodernen Problemen.
In der Jerusalem Post war zu lesen, dass jede zweite Familie in Israel sich nicht genügend Obst und Gemüse leisten kann. Das Leben ist sehr teuer. Ebenso die Wohnungen, da man beim Mieten nie weiß, wann man wieder draußen ist, kauft man am besten. Autos als Importwaren sind unerschwinglich für die meisten Normalbürger. Viele junge Leute fahren E-Roller oder E-Bike. Windeln und Hygieneprodukte gehen ins Geld. Essen gehen und Urlaub im Lande, oder jenseits von Israel sowieso. Dafür ist der öffentliche Nah- und Fernverkehr günstig und funktioniert gut, selbst am Schabbat. Es geht ein Riss durch die Bevölkerung bei arm und reich, der noch stärker ist, als der Gegensatz von Arabern und Juden. Es ist auch der Clash zwischen streng Religiösen und säkularen Israelis, der sich gerade wieder in der Politik zeigt. Auch in Tel Aviv gibt es Leute, z.B. Russen und Äthiopier, die auf dem Bürgersteig leben.
Rassismus vor Ort
Es gibt nicht nur Rassismus zwischen Juden und Arabern! Am Vorabend unserer Abreise gab es eine hitzige Anti-Rassismusdemonstration am Jitzchak-Rabin Platz. Wieder hatte ein israelischer Polizist einen Soldaten der Zahal (Armee) äthiopischer Herkunft zusammengeschlagen. Auf der Demo in Tel Aviv waren 200 Äthiopier und Unterstützer – das Polizeiaufgebot wurde immer größer. Aus der Menge flogen Flaschen und Stühle und im Handgemenge gab es 17 Verletzte und etliche Festnahmen.
Das gab es schon zu Moses’ Zeiten. Er war mit Zippora, einer Äthiopierin (Kuschiterin) verheiratet. Nachdem sich Miriam und Aaron darüber lustig gemacht hatten, bekam Miriam Aussatz. Ihre Haut wurde wie Schnee und das ganze Volk musste eine Woche während der Quarantäne auf sie warten. Heute ist es hier wie im alten Preußen. Integration der jüdischen Jemeniten und Äthiopier, der Russen, Amerikaner und Europäer findet in der Armee und den Universitäten statt. Offensichtlich ist dem G‘tt Israels Rassismus ein Gräuel –auch in Israel selbst– nachzulesen im 4. Buch Moshe, Verse 12-16. Das ganze Volk leidet unter Rassismus, die gute Nachricht für Miriam im Buch des Moshe, es ist heilbar! Eine Reise ins (h)eilige Land bleibt ein Abenteuer. Es ist in der Regel ziemlich aufregend, aber nicht gefährlich. Die Leute freuen sich, wenn man kommt – auch über b’n’b – und kontaktet.
Messianische Juden
In Israel, Europa, den USA und andernorts gibt es eine Minderheit, die messianischen Juden. Das ind Leute, die dem Mashiach Jeshua (Messias Jesus) auf verschiedene Weise anhängen. Sie werden auf Hebräisch Nozrim genannt, ‘Anhänger des Nazareners’. Oft haben sie eigene Gemeinschaften und sind nicht mehr kirchlich.
Von Seiten der Synagoge werden sie nicht als Juden anerkannt, obwohl manche der Messianischen sehr orthodox leben. Diese Leute meinen, Jeshua habe die Halacha (jüdischen Gesetze) nicht abgeschafft. Andere Messianische sind evangelikal geprägt, tragen keine Kippa. In Jaffo beten und leben arabische und jüdische Christen gemeinsam.
Aktuelle Politik Viele Menschen in Israel versuchen einigermaßen über die Runden zu kommen. Die Politik ist eine vertrackte Sache. Die Innenpolitik diktiert der Außenpolitik die Regeln, oder umgekehrt? Seit vielen Jahren ist Bibi Netanjahu Ministerpräsident mit häufig wechselnden Partnerschaften und Mehrheiten, meist aus dem konservativen und streng religiösen Lager.
Auf das Dolphinarium am Strand von Tel Aviv wurde 2001 ein Anschlag von einem 22 Jahre alten Araber aus Kalkilia verübt. Es starben 21 Jugendliche meist russischer Herkunft beim Feiern in der Disko. Heute steht die Ruine noch als Denkmal am Strand.
Israel hat im Prinzip eine Verfassung nach dem Vorbild der Weimarer Republik. Eine 5 % Hürde für Splitterparteien gibt es nicht. Daher haben die Religiösen viel Macht und Einfluß. Man sagt sich, dass die Regierung Netanjahu hinter verschlossenen Türen mit der Hamas immer wieder kurze Waffenstillstände aushandelt – Frieden auf Zeit!
Gibt es einen Exit aus der Gewaltspirale?
Vielleicht gefällt beiden Seiten die Friedenssituation und man bleibt dabei? Es gibt sogar nun gute diplomatische Kanäle zwischen Israel und den Scheichtümern der Arabischen Halbinsel – allerdings bestehen hier wohl auch handfeste gemeinsame Interessen. Der schreckliche Bürgerkrieg in Syrien (und Jemen)ist brandgefährlich. Das Scheitern des Atomabkommen des ‚Westens‘ mit dem Iran durch Trump ruft bei manchen im (H)eiligen Land Begeisterung hervor – bei anderen eher nicht. Israel bekam von Deutschland immerhin U-Boote geliefert, die mit Atomraketen bestückt werden können. Seltsam – dabei hat das Land offiziell keine Nuklearwaffen! Der israelische Präsident Reuven Rivlin nahm bei einem Staatsbesuch U-Boote in Kiel in Augenschein. Mit den Staaten der Arabischen Halbinsel kündigt sich für Israel eine strategische Kooperation an. Vielleicht erfolgt sogar bald eine öffentliche Anerkennung Israels durch die Scheichs – einen gemeinsamen Feind gibt es! Die geostrategische Lage um Israel herum ist brisant, asymmetrisch und aufgeladen und steht im Zusammenhang mit internen Konflikten in Israel. Die seltsamen Interessen der Großmächte (USA/Russland/China) und der Mittelsmächte (Türkei/Iran/EU) sowie die der Anrainer Ägypten, Jordanien, des Libanon, Syriens, der Kurden und vieler anderer sind sehr vielfältig. Verhandlungen mit Ergebnissen über einen langfristigen Frieden scheinen möglich (Oslo-Verträge), werden aber nicht umgesetzt. Solange von allen Seiten Geld für den Kampf fließt …. Es sind im Moment nicht so aus – doch wer weiß – vielleicht wird es eines Tages eine Straße des Friedens von Ägypten über Israel nach Syrien geben. Wenn es sich lohnt, den ewigen Krieg um die Sehnsuchtsstadt Yerushalayim zu beenden, den Frieden zu begründen. Wir werden sehen!
Jakob Krajewsky MLL-Hamburg2019
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